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Jahr 2000

 

Visions

 

Januar 2000

 

Tiefflug durch die Seele

 

Autor: Robert Baumanns

Fotos: K. Westenberg

 

 

 

 

Trent Reznor - beschrieben als Held unserer Zeit, Ikone, ‘Retter des Rock‘n‘Roll‘. Aber auch als   „harter Typ“, „furchteinflößend“, als „nicht besonders redselig“ oder aber „wirres Zeug redend“, als  „hasserfüllt und „ekelhaft“. In Wirklichkeit ist Trent Reznor zurückhaltend. Er überlegt lange, sehr lange, bevor er etwas sagt. Er ist sehr gewissenhaft im Gespräch über Privates und Semi-Privates, um Berufliches und Halb-Berufliches, wahre und falsche Freundschaften, Enttäuschungen, Grammys, Fans, Konzerte, Studioarbeit und Kollegen beantwortet auch heikle Fragen offen und ehrlich - im Tiefflug durch die Seele und über die neue Scheibe.

Sein Projekt Nine Inch Nails gilt vielen Musikern und Musikfans als der Inbegriff von Experiment und Innovation in den Neunzigern, als eine Insel im Ozean der immer einförmiger werdenden Musik. Fünf Jahre hat sich Meister Reznor Zeit gelassen mit seinem neuen Album. Er hat es - ein Wink mit dem ganzen Zaun - „ The Fragile“ getauft. Und dieses Album geistert schon seit fast drei Jahren immer wieder durch Gazetten und Radiostationen. „Bald kommt es raus, und es ist noch härter als sein Vorgänger“ hieß es immer wieder und schon zu einem Zeitpunkt, als Trent Reznor noch nicht einmal mit den ersten Skizzen für „The Fragile“ begonnen hatte. Sehr lange geschah nichts, außer dass er Musik für Filme komponierte oder Soundtracks produzierte. „The Perfect Drug“ war das einzige Lebenszeichen von Nine Inch Nails zwischen den Alben „The Downward Spiral“ und ,,The Fragile“.

Und das spaltet. Doppel-CD, 23 Titel, zwei Stunden Musik. Ein Grund zur Freude allenthalben. Doch obwohl das Album in den amerikanischen Billboard Charts von Null auf Eins einstieg (und damit die Backstreet Boys nach Monaten vom Thron verdrängte), wendeten sich viele Fans enttäuscht ab vom Guru, der sie alle in ihren Träumen am liebsten „wie ein Tier ficken“ wollte. Trent Reznor zeigt plötzlich Gefühl (in Text und in Musik), und damit kommen seine bisherigen vermeintlichen Leidensgenossen nicht klar. Von seiner Aggressivität hat er nichts verloren, er drückt sich nur weniger plakativ sondern eher subtil aus. Auf ,,The Fragile“ gibt es immer wieder instrumentale Intermezzi, neue Themen und NIN-untypische Rhythmen. Und es gibt Fragen. Die haben wir ihm gestellt.

Dein neues Album „The Fragile“ ist in den USA von Null auf Eins in die Charts eingestiegen. Hast du damit gerechnet? Und was bedeutet dieser Erfolg für dich?

„Nein, damit habe ich nicht gerechnet. Das wäre vermessen gewesen. Ich habe auch versucht, mir darüber keine Gedanken zu machen. Jetzt ist es passiert, und das schmeichelt mir. Aber Ruhm bedeutet mir eigentlich gar nichts.“

Überhaupt nichts?

„Man muss weit zurückgehen. Als ich angefangen und einen Namen für die Band gesucht habe sollte es etwas sein, das einerseits etwas Unangenehmes impliziert, andererseits auch etwas Verführerisches. Nine Inch Nails beinhaltet Subversives und Gefährliches. Es lässt einen zurückzucken und doch zugreifen. Nachdem wir ein wenig erfolgreicher geworden waren, machte ich mir Gedanken. Ich habe eigentlich immer den Standpunkt vertreten, dass eine Underground-Band nicht zu groß, nicht zu erfolgreich werden darf. Und plötzlich war ich in einer Band, die groß und erfolgreich war. Ich musste miterleben, wie sich viele Leute, die ich respektierte für ihre Arbeit und als Menschen, von mir abwendeten, weil Nine Inch Nails zu erfolgreich wurden. Ich habe dann versucht, es aus der Sicht eines wirklichen Fans zu sehen: Würde ich es als Fan gut finden, wenn eine Band, die ich von Anfang an begleitet habe, plötzlich von allen vereinnahmt wird? Da spielt auch das Gefühl von Verrat eine Rolle. Ich bin jetzt jedenfalls in einer Position, von der ich niemals dachte, dass ich sie erreichen würde - und auch nie die Absicht hatte zu erreichen.“

Wie erklärst du dir das?

„Die Musik, die ich aufgenommen habe - ob du sie nun magst oder nicht - habe ich immer aus tiefster Überzeugung gemacht. Ich habe nur das getan, was ich als gut und richtig für die Musik erachtet habe, auch, um die Musik als Kunst begreifen zu können. Wenn das, was ich getan habe, von Anfang an einige Leute angesprochen und berührt hat, dann ehrt mich das, auch wenn ich es nicht wirklich verstehen konnte. Aber es wäre doch geradezu faschistisch, wenn ich mir jetzt sagen lassen müsste oder selber sagen würde, meine Musik nur für eben diese Leute zu machen.“

Du hast immerhin zwei Mal den Grammy bekommen.

„Ach ja. Weißt du, ich war ziemlich geschockt, als ‘The Fragile‘ auf Eins in die amerikanischen Charts eingestiegen ist. Das bedeutet mir mehr, als ich dachte. Und ich kann dir nicht mal genau sagen, weshalb. Ja, ich habe zwei Grammys gekriegt, aber das interessiert mich wirklich einen Scheiß. Der Grammy wird von einem Kommitee von Leuten vergeben, die sich nicht für das interessieren, was ich tue, sondern allenfalls für das, was ich in ihren Augen bin. Es ist natürlich trotzdem aufregend, einen Grammy zu bekommen, aber für das, was ich tue, bedeutet er nichts.“

Lässt dich die Tatsache, dass du mit „The Fragile“ von Null auf eins und damit quasi in direkte Konkurrenz zu den Backstreet Boys gegangen bist, die du letztendlich vom Thron gestoßen hast, wirklich so unbeeindruckt?

„Als wir dabei waren, ‘The Fragile’ fertig zu stellen, gab es in unserer Arbeit ein Loch von fünf Jahren. Ich zerbrach mir den Kopf darüber: Vielleicht interessiert sich niemand mehr für Nine Inch Nails und das neue Album. Aber jetzt zu sehen, dass großes Interesse besteht, so groß, dass die Platte auf Anhieb Nummer Eins geworden ist, das ist unglaublich schmeichelhaft. Und es ist eine Herausforderung für andere Leute, sich unserer Musik anzunähern, obwohl sie normalerweise mit solchem Zeug nichts anfangen können.“

Was hältst du von der Einschätzung, dass Nine Inch Nails wie ein Phantom durch die Musikwelt geistert?

„Das habe ich schon oft gehört, aber das stimmt nur bedingt. Immerhin waren wir mit ‘The Downward Spiral‘ zwei Jahre lang auf Tour, da konnte man uns schon sehen. Und ein, zwei Videos gab es ja auch. Aber ich glaube, ich weiß, was du meinst. Lass es mich so sagen: Ich will mit meiner Persönlichkeit nicht die Musik und ihre Mystik überschatten. Wenn man zuviel sieht, geht zuviel verloren. Das absolut Wichtigste ist die Musik. Ich bin nicht der Typ, der sich mit Supermodels trifft oder ihnen Backstage den Arsch küsst. Ich bin mir all dessen sehr bewusst. Das ist übrigens auch der Grund, weshalb es auf meinen Platten keine Bilder oder Photos von mir zu sehen gibt. Es geht um Nine Inch Nails und die Musik, und nicht um mich. Ich wollte Nine Inch Nails immer so darstellen, dass man nicht den Zauberer von Oz, den Mann hinter dem Vorhang sieht, der die Fäden zieht!“

Fast könnte man meinen, du hättest etwas zu verbergen.

„Ich habe nichts zu verbergen und ich tue das auch nicht, weil ich mich vielleicht schäme oder so etwas. Es ist wie der Vergleich, ob man nun ein Buch liest oder den Film zum Buch sieht. Wenn du ein Buch liest und dich hineinfühlst, ist das immer besser, als einen Film zu sehen, der dir sagt, was du zu fühlen hast. Ich kann es auch anders sagen: Ich habe einige Leute kennengelernt, deren Fan ich wirklich war, von denen ich mir Platten gekauft habe, weil ich die Musik klasse fand. Wenn du die Leute dann kennenlernst und sie sind wie ein Stück Scheiße, bedeutet dir ihre Musik auch nichts mehr. Ich möchte, dass die Leute Nine Inch Nails für die Musik mögen und nicht für die Persönlichkeit, die dahinter steht. Außerdem kommt hinzu, dass ich eigentlich ein scheuer Mensch bin und nicht weiß, wie ich mit Popularität umgehen soll.“

Dann sind solche Interview-Termine für dich bestimmt der totale Horror?

„Mal mehr, mal weniger. Wenn die Leute es mehr journalistisch und weniger von dem Fan-Standpunkt aus machen, bei dem sie dann oft kein Wort rausbringen. geht es. Dann kann man ein gutes und interessantes Gespräch führen. Ich lerne dann selber auch etwas dabei. Gute Interviews sind eher Gespräche, bei denen ich selber zum Nachdenken komme und vielleicht sogar neue Aspekte meiner Arbeit erkennen kann.“

Welche zum Beispiel?

„Als ich anfing, Musik zu machen, wollte ich etwas Bedeutsames tun. Für mich war es am Anfang wie ein Fluch, Texte zu schreiben. Es schien mir alles so unwichtig. Also ging ich mit meiner Musik zu ein paar Journalisten, die ich damals ganz gut kannte. Ich dachte, dass die zu meiner Musik die Texte liefern könnten. Aber sie bestärkten mich und haben mich davon überzeugt, dass ich wirklich etwas Einzigartiges geleistet hatte. Sie haben eine Kraft darin entdeckt, deren ich mir selbst bis dahin nicht bewusst war. Es war also kein Unsinn, wie ich dachte. Und rückblickend betrachtet zeigte mir das auch, dass ich nicht in eine Rolle schlüpfe, hinter der ich mich dann verstecken könnte, sondern ich habe mein Innerstes nach außen gekehrt. Und damals fiel diese Entscheidung: Ich war fähig, etwas von Bedeutung, etwas Künstlerisches, zu tun. Ich hätte mich auch verstecken können. Ich dachte damals: Niemand wird je meine Musik hören – und dann waren es doch ein paar Jenen hat es etwas bedeutet.“

Aus den paar Leuten sind mit der Zeit ein paar mehr geworden. Wie gehst du als eher scheuer Mensch denn damit um, wenn Du zum Beispiel auf Tournee bist?

„Es ist außerordentlich schwer für mich. Nicht nur körperlich, sondern vor allem geistig. Wir waren zwei Jahre lang mit ‘The Downward Spiral‘ auf Tour. Danach konnte ich nicht mehr, ich war am Boden. Ich hatte das Gefühl, mich selbst total verloren zu haben. Jeden Abend vor zig Leuten zu spielen, die danach alles von mir wissen, ohne dass ich jemals etwas von ihnen erfahren hätte. Ich fühlte, dass ich zu viel von mir preisgegeben hatte, dass ich zu ehrlich und aufrichtig war. Ich war nackt und hatte nichts mehr. Ich habe den Leuten die intimsten und privatesten Dinge von mir gegeben. Es ist ja nicht etwas, das ich spiele. Ich bin es selbst! Ich habe keine andere Möglichkeit. Es kommt aus den Tiefen meines Herzens und meiner Seele. Früher dachte ich, dass es niemand merken würde oder dass es den Leuten egal wäre. Aber so war es nicht. Und dann fühlt man sich ausgesaugt und leer.“

Für dich scheint Musik zweifellos auch eine Art Therapie zu sein. Interessiert es dich überhaupt, ob die Leute deine Musik mögen oder nicht?

„Ich will dir von einem der schönsten Gefühle, die ich je in meinem Leben hatte, erzählen: Ich sitze da und schreibe einen Song. Ich schreibe ihn, um aus mir herauszukommen, vielleicht, um zu entkommen. Ich fühle mich besser, wenn ich Gefühle herausgelassen habe und der Song dann auch eine gewisse Schönheit hat. Und dann komme ich viel später in einem fremden Land auf die Bühne, und die Leute singen mir diesen Song entgegen, ohne dass ich irgendetwas getan habe. Wichtig ist, dass die Leute etwas haben, das sie dann verbindet, egal, ob sie verstehen, was ich gemeint habe. Es hat ihnen etwas gebracht. Das ist das schönste Gefühl - die Menge sehen und begreifen: Das ist der Grund, weshalb ich hier bin. Das gibt dem Ganzen seinen Wert. So muss es auch hei David Bowie gewesen sein. Er hat mich als Künstler schon immer extrem beeinflusst. Dann habe ich ihn kennengelernt und jetzt sind wir eng befreundet. Er ist keiner von den Typen, die mich hängenlassen würden. Er hat immer zu mir gestanden und mir mit Rat und Tat geholfen.“

Siehst du Parallelen in eurer künstlerischen Entwicklung?

„Gute Frage. Ich glaube, ich bin jetzt in der Phase, die er schon durchlebt hat. Er ist auf der anderen Seite wieder herausgekommen, und zwar voll intakt. Das macht mich optimistisch. Ihm gegenüber habe ich ein Gefühl wie zu einem großen Bruder, der mir sagt: ‘Du wirst da durchkommen, auf der anderen Seite geht es weiter‘. Ich befinde mich jetzt an einem Punkt, wo sich vieles für meine Zukunft verändern wird. David hatte den großen Vorteil, dass er Ziggy Stardust hatte, der damals durch ihn zur Mode wurde. Und Ziggy Stardust hat Bowie ja auch irgendwie geschützt, ja fast beschützt. Ich habe mir überlegt, ob es ein Fehler ist, nicht auch so ein Schutzlevel zu haben, wie es Ziggy Stardust für David Bowie war. Irgendetwas zwischen meinem Herzen und meiner nach außen gebrachten, bloßgestellten Seele. Das war eine Überlegung, als ich mit ‘The Fragile‘ begann.“

Du hast auf dem Album und auch auf der Tour mit vielen Leuten gearbeitet, mit denen auch Bowie schon gearbeitet hat.

„Ja, das ist kein Zufall. Normalerweise kann ich nicht gut mit Leuten zusammenarbeiten. Nicht, weil ich nicht will, sondern oft, weil ich mich schäme. Deshalb mache ich vieles gern allein. Aber ich vertraue David. Und deshalb arbeite ich mit ein paar Jungs, die auch schon mit ihm Musik gemacht haben.“

Wie bist du an das Album herangegangen?

„Es sollte eine Herausforderung für mich sein, eine Neuerfindung. Ich musste mir immer wieder selbst in den Hintern treten - ich bin nämlich total faul. Dagegen musste ich kämpfen. Ich wollte lernen und besser werden. Ich dachte, dass ich so einen Charakter wie Ziggy Stardust quasi als Werkzeug benutzen kann, um eine andere Perspektive auf die Arbeit zu kriegen. Aber ich merkte, dass der Rahmen, den ich selbst durch Nine Inch Nails gesetzt hatte, das nicht erlaubt. Und zwar, weil es bei Nine Inch Nails um mein Selbst und um meine innersten Gefühle geht. Aber wie ich eben schon sagte, geht es nicht um meine Person. Vielleicht ist Nine Inch Nails mein Ziggy Stardust...“

Wenn man diesen Gedanken weiterverfolgt, dann bist du wohl „The Fragile“.

„Zum größten Teil ja. Lass es mich erklären: Wir sind mit ‘The Downward Spiral‘ zwei Jahre auf Tour gewesen. Zwei Jahre ohne Nachdenken. Wir wurden nicht im Radio gespielt, von MTV nicht gesendet und so weiter. Wir hatten also nichts, um den Leuten begreiflich zu machen, worum es überhaupt geht. Also mussten wir touren. Als die Tour zu Ende war merkte ich, dass aus einer relativ unbekannten Band plötzlich Stars geworden waren. Ich hatte bloß nicht gemerkt, dass ich mich verändert hatte. Ich war zu jemandem geworden, der ich geschworen hatte, nie zu werden. Ein bisschen Macht, Ruhm oder Geld kann deine Persönlichkeit zerstören und dich total verändern. Mir ist das passiert. Das merkte ich, als ich nach dem letzten Konzert aus dem Tourbus stieg.“

Und das macht schwach und zerbrechlich?

„Früher habe ich beim Musikmachen viel nachgedacht, ich habe mich selbst immer wie der geprüft. Ich habe analysiert, wie ich bestimmte Dinge erlebt und gefühlt habe. Als ich mich jetzt ins Studie setzte, um mit ‘The Fragile‘ zu beginnen, war das allerletzte, das ich tun wollte, mit mir allein zu sein und herauszufinden, wie ich mich verändert hatte. So habe ich viel Zeit verloren. Ich habe auch immer gedacht: ‘wenn du alles erreicht hast wovon du träumst, dann geht es dir besser‘. Jetzt habe ich das alles. Ja, es ist natürlich schön, dass ich mir keine Sorgen mehr machen muss, eh ich die nächste Miete zahlen kann. Aber ich dachte auch ‘was für ein elend dummes Ziel des Lebens. Was bin ich doch für ein oberflächlicher Mensch‘.“

Das hört sich jetzt aber ein bisschen nach Selbstmitleid an...

„Nein. Aber ich merkte, dass all die Dinge, die der Erfolg mit sich brachte, genau die Dinge waren, mit denen ich nicht umgehen konnte. Da saß ich nun und wusste nicht weiter. Dann habe ich auch noch ein paar Freunde verloren. Und die Frau die mich groß gezogen hat, ist gestorben. Ein paar andere Freunde sind auch gestorben. Alles um mich herum starb, und ich konnte damit nicht umgehen - also ließ ich es erst gar nicht an mich heran. Das hat natürlich nicht geholfen. Ich fühlte mich wie ein Schnellzug, der in den Abgrund rast. Und den habe ich angehalten. Ich habe mich gefragt, weshalb ich mich so miserabel und unglücklich fühlte.“

Und dann hast du mit der Arbeit begonnen?

„Ich bin nicht eines Morgens aufgewacht, und alles war anders. Nein, es war der Druck, eine neue Platte zu machen, die etwas bedeutet. Ich entdeckte, dass ich vergessen hatte, dass ich Musik liebe. Musik zu machen, zu hören und zu erfahren. Musik war schon immer mein bester Freund, mein ganzes Leben hin durch. In Teenager-Jahren gab es Momente, in denen eine bestimmte Platte wirklich sowas wie ein bester Freund war. Jetzt habe ich die Möglichkeit, genau das für andere zu machen, und während ich das tue, kriege ich wieder ein gutes Gefühl. Ich hatte das total vergessen.“

Die Promotion-Maschine, die einsetzt, sobald die Platte fertig ist, kannst aber auch du kaum umgehen.

„Es gibt einen Unterschied zwischen Musik als Kunst, die etwas bedeutet, auf der einen Seite und Kommerz auf der anderen Seite. Ich fühle mich zum Beispiel jetzt in unserem Gespräch sehr wohl, das meine ich ernst. Und das ist doch verrückt, oder? Es ist ein Zufall, dass wir hier zusammen sitzen und ich dir von den Dingen erzähle, die mich jahrelang runtergezogen  haben. Ich bin im Jetlag, mir ist schlecht und ich habe eine Erkältung. Aber wir reden. Weil es mir wichtig ist, damit ich etwas unterstützen kann, woran ich glaube. Ich habe Freunde gesehen, die ein bisschen Erfolg hatten und prominent wurden. Ihr ultimatives Ziel war es, zu Stars zu werden. Ich habe mich in so einer Situation immer unwohl gefühlt. Mir geht es nur um die Musik, und nicht darum, mit der Musik in den heiligen Club der Stars zu kommen. Von jenen bin ich enttäuscht.“

Du sprichst von Marilyn Manson, oder?

„Ja. Aber bevor du weiter fragst: Ich werde jetzt nicht mit konkreten Anschuldigungen um mich werfen oder persönliche Differenzen in der Öffentlichkeit preisgeben. Das ist nicht meine Art. Nur soviel: Ich hätte nicht erwartet, von jemandem, den ich mal als einen meiner wenigen Freunde betrachtete, so verletzt zu werden. Aber hinterher ist man immer klüger, auch wenn man sich dann fragt, wie man sich so in einem Menschen täuschen konnte.“

„The Fragile“ hört sich nicht mehr so aggressiv an wie die Vorgänger, du benutzt streckenweise sogar Streicher-Arrangements und Mandolinen. Auch die Texte scheinen nicht mehr so provokativ wie früher.

„Als wir ‘The Downward Spiral‘ gemacht haben, hatte ich schon ein vorgefertigtes Konzept im Kopf. Die Platte war praktisch schon fertig, bevor ich überhaupt im Studio war. Ich wollte eine Geschichte erzählen von einer Art Abstieg zu einem bösen Ort - ziemlich fatalistisch. Und auf der Tour wurde das plötzlich Wirklichkeit, wie eine self fulfilling prophecy. Mit ‘The Fragile‘ habe ich angefangen, als ich ziemlich verzweifelt war, und ich hatte nichts geplant. Aber als ich endlich anfing zu arbeiten, ist es nur so aus mir heraus gesprudelt. Der einzige Rahmen, den ich dem Ganzen gesetzt habe, war der Titel ‘The Fragile‘.“

Der Titel „I‘m Looking Forward To Joining You, Finally“ ist einer Clara gewidmet. Das ist deine Großmutter, nicht wahr?

„Ja, sie ist die Frau, die mich großgezogen hat und gestorben ist.“

Angesichts des Titels drängen sich Suizidabsichten geradezu auf...

„Ja. Zu der Zeit, als sie gegangen ist, habe ich mich wirklich sehr schwach und zerbrechlich gefühlt. Ich wollte dann aber gezielt die Schwächen entdecken und ein Album machen, das die Dinge wieder zusammensetzt, die auseinander gefallen waren. Ich habe ganz unten angefangen und mich meinen Ängsten gestellt. Ich musste da durch. Ich habe es einfach getan und gesehen, was dabei rauskommt. Ich habe zwei Jahre lang nicht länger als vier Stunden pro Nacht geschlafen. Das ist natürlich nicht gesund, aber die Platte ist das Beste, was ich je gemacht habe. Das musikalische Level ist gestiegen. Ich bin regelrecht überrascht, dass sie jetzt fertig ist und sehr stolz darauf. Sie gibt mir den Respekt vor mir selbst zurück.“

Zwischen den beiden Alben gab es noch „ The Perfect Drug“. Wie würdest du dieses Stück nachträglich betrachten?

„Als ich den Song geschrieben habe, näherte ich mich gerade dem Tiefpunkt. Ich mag ihn nicht besonders. Ich habe ihn für einen Soundtrack auf genommen, der nicht wirklich wichtig war. Es war die Aufgabe, das Stück innerhalb von einer Woche fertig zu stellen - das war alles.“

Trotzdem die naheliegende Frage: Was ist für dich die perfekte Droge?

„Jetzt würde ich fast sagen: Musik.“

Von der letzten Tour hast du gesagt, dass du danach am Boden warst. Wie willst du das in Zukunft verhindern?

„Ich will auf Tour gehen, weil ich es wichtig finde, Live-Erfahrung mit dem neuen Material zu machen. Ich habe aus der letzten Tour gelernt und gehe jetzt mit etwas mehr Realitätssinn und weniger Naivität an die Sache heran. Deshalb ist das Risiko nicht so groß, dass mir nochmal so ein Absturz passiert. Ich bin auf die Unwägbarkeiten vorbereitet.“

Robert Baumanns

Kommentare am Seitenrand:

DAVID BOWIE

„Trent Reznor ist ein geradezu perfekter Musiker, er ist kolossal. Er ist einer der herausforderndsten Künstler unserer Zeit und beileibe keine Eintagsfliege oder ein Phänomen, das nur von kurzer Dauer ist. Was Manson im Moment macht, ist sehr amerikanisch, hat aber nicht unbedingt viel mit Glam zu tun. Manson ist nicht so offen. Was er tut, ist ein Statement. Sehr puristisch, aber nun wirklich nicht interessant. Ich glaube, dass Trent Reznor viel langlebiger ist als Manson.“

ALICE COOPER

„Niemand wird Industrial-Rock jemals besser machen und verkörpern als Trent Reznor. Mir ist das allerdings zu schwarz - so herzlos und verzweifelt. Für drei Songs ist es okay, aber dann brauche ich etwas anderes.“

FLEA (CHILLI PEPPERS)

„Ich habe das neue Nine Inch Nails-Album ohne Unterbrechung über Stunden gehört. Es ist verdammt das Beste, was ich je gehört habe. Trent Reznor hat eine so grundlegende Idee von Rhythmus, Zeit und Raum, dass es mich einfach umhaut. Wir werden mit Nine Inch Nails in Australien spielen und ich bin sehr aufgeregt.“

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