Trent Reznor - beschrieben als
Held unserer Zeit, Ikone, ‘Retter des Rock‘n‘Roll‘. Aber auch als „harter Typ“,
„furchteinflößend“, als „nicht besonders redselig“ oder aber „wirres Zeug
redend“, als „hasserfüllt und „ekelhaft“. In Wirklichkeit ist Trent Reznor
zurückhaltend. Er überlegt lange, sehr lange, bevor
er etwas sagt. Er ist sehr gewissenhaft im Gespräch über Privates und
Semi-Privates, um Berufliches und Halb-Berufliches, wahre und falsche
Freundschaften, Enttäuschungen, Grammys, Fans, Konzerte, Studioarbeit und
Kollegen beantwortet auch heikle Fragen offen und ehrlich - im Tiefflug durch
die Seele und über die neue Scheibe.
Sein Projekt Nine Inch Nails gilt
vielen Musikern und Musikfans als der Inbegriff von Experiment und Innovation
in den Neunzigern, als eine Insel im Ozean der immer einförmiger werdenden
Musik. Fünf Jahre hat sich Meister Reznor Zeit gelassen mit seinem neuen Album.
Er hat es - ein Wink mit dem ganzen Zaun - „ The Fragile“ getauft. Und dieses
Album geistert schon seit fast drei Jahren immer wieder durch Gazetten und
Radiostationen. „Bald kommt es raus, und es ist noch härter als sein Vorgänger“
hieß es immer wieder und schon zu einem Zeitpunkt, als Trent Reznor noch nicht
einmal mit den ersten Skizzen für „The Fragile“ begonnen hatte. Sehr lange
geschah nichts, außer dass er Musik für Filme komponierte oder Soundtracks
produzierte. „The Perfect Drug“ war das einzige Lebenszeichen von Nine Inch
Nails zwischen den Alben „The Downward Spiral“ und ,,The Fragile“.
Und das spaltet. Doppel-CD, 23
Titel, zwei Stunden Musik. Ein Grund zur Freude allenthalben. Doch obwohl das
Album in den amerikanischen Billboard Charts von Null auf Eins einstieg (und
damit die Backstreet Boys nach Monaten vom Thron verdrängte), wendeten sich
viele Fans enttäuscht ab vom Guru, der sie alle in ihren Träumen am liebsten
„wie ein Tier ficken“ wollte. Trent Reznor zeigt plötzlich Gefühl (in Text und
in Musik), und damit kommen seine bisherigen vermeintlichen Leidensgenossen
nicht klar. Von seiner Aggressivität hat er nichts verloren, er drückt sich nur
weniger plakativ sondern eher subtil aus. Auf ,,The Fragile“ gibt es immer
wieder instrumentale Intermezzi, neue Themen und NIN-untypische Rhythmen. Und
es gibt Fragen. Die haben wir ihm gestellt.
Dein neues Album „The Fragile“ ist in den USA von Null auf Eins in die
Charts eingestiegen. Hast du damit gerechnet? Und was bedeutet dieser Erfolg
für dich?
„Nein, damit habe ich nicht
gerechnet. Das wäre vermessen gewesen. Ich habe auch versucht, mir darüber
keine Gedanken zu machen. Jetzt ist es passiert, und das schmeichelt mir. Aber
Ruhm bedeutet mir eigentlich gar nichts.“
Überhaupt nichts?
„Man muss weit zurückgehen. Als
ich angefangen und einen Namen für die Band gesucht habe sollte es etwas sein,
das einerseits etwas Unangenehmes impliziert, andererseits auch etwas
Verführerisches. Nine Inch Nails beinhaltet Subversives und Gefährliches. Es
lässt einen zurückzucken und doch zugreifen. Nachdem wir ein wenig
erfolgreicher geworden waren, machte ich mir Gedanken. Ich habe eigentlich
immer den Standpunkt vertreten, dass eine Underground-Band nicht zu groß, nicht
zu erfolgreich werden darf. Und plötzlich war ich in einer Band, die groß und erfolgreich
war. Ich musste miterleben, wie sich viele Leute, die ich respektierte für ihre
Arbeit und als Menschen, von mir abwendeten, weil Nine Inch Nails zu
erfolgreich wurden. Ich habe dann versucht, es aus der Sicht eines wirklichen
Fans zu sehen: Würde ich es als Fan gut finden, wenn eine Band, die ich von
Anfang an begleitet habe, plötzlich von allen vereinnahmt wird? Da spielt auch
das Gefühl von Verrat eine Rolle. Ich bin jetzt jedenfalls in einer Position,
von der ich niemals dachte, dass ich sie erreichen würde - und auch nie die
Absicht hatte zu erreichen.“
Wie erklärst du dir das?
„Die Musik, die ich aufgenommen
habe - ob du sie nun magst oder nicht - habe ich immer aus tiefster Überzeugung
gemacht. Ich habe nur das getan, was ich als gut und richtig für die Musik
erachtet habe, auch, um die Musik als Kunst begreifen zu können. Wenn das, was
ich getan habe, von Anfang an einige
Leute angesprochen und berührt hat, dann ehrt mich das, auch wenn ich es nicht
wirklich verstehen konnte. Aber es wäre doch geradezu faschistisch, wenn ich
mir jetzt sagen lassen müsste oder selber sagen würde, meine Musik nur für eben
diese Leute zu machen.“
Du hast immerhin zwei Mal den Grammy bekommen.
„Ach ja. Weißt du, ich war
ziemlich geschockt, als ‘The Fragile‘ auf Eins in die amerikanischen Charts
eingestiegen ist. Das bedeutet mir mehr, als ich dachte. Und ich kann dir nicht
mal genau sagen, weshalb. Ja, ich habe zwei Grammys gekriegt, aber das
interessiert mich wirklich einen Scheiß. Der Grammy wird von einem Kommitee von
Leuten vergeben, die sich nicht für das interessieren, was ich tue, sondern
allenfalls für das, was ich in ihren Augen bin. Es ist natürlich trotzdem
aufregend, einen Grammy zu bekommen, aber für das, was ich tue, bedeutet er
nichts.“
Lässt dich die Tatsache, dass du mit „The Fragile“ von Null auf eins
und damit quasi in direkte Konkurrenz zu den Backstreet Boys gegangen bist, die
du letztendlich vom Thron gestoßen hast, wirklich so unbeeindruckt?
„Als wir dabei waren, ‘The Fragile’
fertig zu stellen, gab es in unserer Arbeit ein Loch von fünf Jahren. Ich
zerbrach mir den Kopf darüber: Vielleicht interessiert sich niemand mehr für
Nine Inch Nails und das neue Album. Aber jetzt zu sehen, dass großes Interesse
besteht, so groß, dass die Platte auf Anhieb Nummer Eins geworden ist, das ist
unglaublich schmeichelhaft. Und es ist eine Herausforderung für andere Leute,
sich unserer Musik anzunähern, obwohl sie normalerweise mit solchem Zeug nichts
anfangen können.“
Was hältst du von der Einschätzung, dass Nine Inch Nails wie ein
Phantom durch die Musikwelt geistert?
„Das habe ich schon oft gehört,
aber das stimmt nur bedingt. Immerhin waren wir mit ‘The Downward Spiral‘ zwei
Jahre lang auf Tour, da konnte man uns schon sehen. Und ein, zwei Videos gab es
ja auch. Aber ich glaube, ich weiß, was du meinst. Lass es mich so sagen: Ich
will mit meiner Persönlichkeit nicht die Musik und ihre Mystik überschatten.
Wenn man zuviel sieht, geht zuviel verloren. Das absolut Wichtigste ist die
Musik. Ich bin nicht der Typ, der sich mit Supermodels trifft oder ihnen
Backstage den Arsch küsst. Ich bin mir all dessen sehr bewusst. Das ist
übrigens auch der Grund, weshalb es auf meinen Platten keine Bilder oder Photos
von mir zu sehen gibt. Es geht um Nine Inch Nails und die Musik, und nicht um
mich. Ich wollte Nine Inch Nails immer so darstellen, dass man nicht den
Zauberer von Oz, den Mann hinter dem Vorhang sieht, der die Fäden zieht!“
Fast könnte man
meinen, du hättest etwas zu verbergen.
„Ich habe nichts zu verbergen und
ich tue das auch nicht, weil ich mich vielleicht schäme oder so etwas. Es ist
wie der Vergleich, ob man nun ein Buch liest oder den Film zum Buch sieht. Wenn
du ein Buch liest und dich hineinfühlst, ist das immer besser, als einen Film
zu sehen, der dir sagt, was du zu fühlen hast. Ich kann es auch anders sagen: Ich
habe einige Leute kennengelernt, deren Fan ich wirklich war, von denen ich mir
Platten gekauft habe, weil ich die Musik klasse fand. Wenn du die Leute dann kennenlernst
und sie sind wie ein Stück Scheiße, bedeutet dir ihre Musik auch nichts mehr.
Ich möchte, dass die Leute Nine Inch Nails für die Musik mögen und nicht für
die Persönlichkeit, die dahinter steht. Außerdem kommt hinzu, dass ich
eigentlich ein scheuer Mensch bin und nicht weiß, wie ich mit Popularität
umgehen soll.“
Dann sind solche
Interview-Termine für dich bestimmt der totale Horror?
„Mal mehr, mal weniger. Wenn die
Leute es mehr journalistisch und weniger von dem Fan-Standpunkt aus machen, bei
dem sie dann oft kein Wort rausbringen. geht es. Dann kann man ein gutes und
interessantes Gespräch führen. Ich lerne dann selber auch etwas dabei. Gute
Interviews sind eher Gespräche, bei denen ich selber zum Nachdenken komme und
vielleicht sogar neue Aspekte meiner Arbeit erkennen kann.“
Welche zum Beispiel?
„Als ich anfing, Musik zu machen,
wollte ich etwas Bedeutsames tun. Für mich war es am Anfang wie ein Fluch,
Texte zu schreiben. Es schien mir alles so unwichtig. Also ging ich mit meiner
Musik zu ein paar Journalisten, die ich damals ganz gut kannte. Ich dachte,
dass die zu meiner Musik die Texte liefern könnten. Aber sie bestärkten mich
und haben mich davon überzeugt, dass ich wirklich etwas Einzigartiges geleistet
hatte. Sie haben eine Kraft darin entdeckt, deren ich mir selbst bis dahin
nicht bewusst war. Es war also kein Unsinn, wie ich dachte. Und rückblickend
betrachtet zeigte mir das auch, dass ich nicht in eine Rolle schlüpfe, hinter
der ich mich dann verstecken könnte, sondern ich habe mein Innerstes nach außen
gekehrt. Und damals fiel diese Entscheidung: Ich war fähig, etwas von
Bedeutung, etwas Künstlerisches, zu tun. Ich hätte mich auch verstecken können.
Ich dachte damals: Niemand wird je meine Musik hören – und dann waren es doch
ein paar Jenen hat es etwas bedeutet.“
Aus den paar Leuten
sind mit der Zeit ein paar mehr geworden. Wie gehst du als eher scheuer Mensch
denn damit um, wenn Du zum Beispiel auf Tournee bist?
„Es ist außerordentlich schwer
für mich. Nicht nur körperlich, sondern vor allem geistig. Wir waren zwei Jahre
lang mit ‘The Downward Spiral‘ auf Tour. Danach konnte ich nicht mehr, ich war
am Boden. Ich hatte das Gefühl, mich selbst total verloren zu haben. Jeden
Abend vor zig Leuten zu spielen, die danach alles von mir wissen, ohne dass ich
jemals etwas von ihnen erfahren hätte. Ich fühlte, dass ich zu viel von mir
preisgegeben hatte, dass ich zu ehrlich und aufrichtig war. Ich war nackt und
hatte nichts mehr. Ich habe den Leuten die intimsten und privatesten Dinge von mir
gegeben. Es ist ja nicht etwas, das ich spiele. Ich bin es selbst! Ich habe
keine andere Möglichkeit. Es kommt aus den Tiefen meines Herzens und meiner
Seele. Früher dachte ich, dass es niemand merken würde oder dass es den Leuten
egal wäre. Aber so war es nicht. Und dann fühlt man sich ausgesaugt und leer.“
Für dich scheint
Musik zweifellos auch eine Art Therapie zu sein. Interessiert es dich
überhaupt, ob die Leute deine Musik mögen oder nicht?
„Ich will dir von einem der
schönsten Gefühle, die ich je in meinem Leben hatte, erzählen: Ich sitze da und
schreibe einen Song. Ich schreibe ihn, um aus mir herauszukommen, vielleicht,
um zu entkommen. Ich fühle mich besser, wenn ich Gefühle herausgelassen habe
und der Song dann auch eine gewisse Schönheit hat. Und dann komme ich viel
später in einem fremden Land auf die Bühne, und die Leute singen mir diesen Song
entgegen, ohne dass ich irgendetwas getan habe. Wichtig ist, dass die Leute
etwas haben, das sie dann verbindet, egal, ob sie verstehen, was ich gemeint
habe. Es hat ihnen etwas gebracht. Das ist das schönste Gefühl - die Menge
sehen und begreifen: Das ist der Grund, weshalb ich hier bin. Das gibt dem
Ganzen seinen Wert. So muss es auch hei David Bowie gewesen sein. Er hat mich
als Künstler schon immer extrem beeinflusst. Dann habe ich ihn kennengelernt
und jetzt sind wir eng befreundet. Er ist keiner von den Typen, die mich
hängenlassen würden. Er hat immer zu mir gestanden und mir mit Rat und Tat
geholfen.“
Siehst du Parallelen
in eurer künstlerischen Entwicklung?
„Gute Frage. Ich glaube, ich bin
jetzt in der Phase, die er schon durchlebt hat. Er ist auf der anderen Seite
wieder herausgekommen, und zwar voll intakt. Das macht mich optimistisch. Ihm
gegenüber habe ich ein Gefühl wie zu einem großen Bruder, der mir sagt: ‘Du
wirst da durchkommen, auf der anderen Seite geht es weiter‘. Ich befinde mich
jetzt an einem Punkt, wo sich vieles für meine Zukunft verändern wird. David
hatte den großen Vorteil, dass er Ziggy Stardust hatte, der damals durch ihn
zur Mode wurde. Und Ziggy Stardust hat Bowie ja auch irgendwie geschützt, ja
fast beschützt. Ich habe mir überlegt, ob es ein Fehler ist, nicht auch so ein
Schutzlevel zu haben, wie es Ziggy Stardust für David Bowie war. Irgendetwas
zwischen meinem Herzen und meiner nach außen gebrachten, bloßgestellten Seele.
Das war eine Überlegung, als ich mit ‘The Fragile‘ begann.“
Du hast auf dem Album
und auch auf der Tour mit vielen Leuten gearbeitet, mit denen auch Bowie schon
gearbeitet hat.
„Ja, das ist kein Zufall.
Normalerweise kann ich nicht gut mit Leuten zusammenarbeiten. Nicht, weil ich
nicht will, sondern oft, weil ich mich schäme. Deshalb mache ich vieles gern
allein. Aber ich vertraue David. Und deshalb arbeite ich mit ein paar Jungs,
die auch schon mit ihm Musik gemacht haben.“
Wie bist du an das Album herangegangen?
„Es sollte eine Herausforderung
für mich sein, eine Neuerfindung. Ich musste mir immer wieder selbst in den
Hintern treten - ich bin nämlich total faul. Dagegen musste ich kämpfen. Ich wollte
lernen und besser werden. Ich dachte, dass ich so einen Charakter wie Ziggy
Stardust quasi als Werkzeug benutzen kann, um eine andere Perspektive auf die
Arbeit zu kriegen. Aber ich merkte, dass der Rahmen, den ich selbst durch Nine
Inch Nails gesetzt hatte, das nicht erlaubt. Und zwar, weil es bei Nine Inch
Nails um mein Selbst und um meine innersten Gefühle geht. Aber wie ich eben
schon sagte, geht es nicht um meine Person. Vielleicht ist Nine Inch Nails mein
Ziggy Stardust...“
Wenn man diesen Gedanken
weiterverfolgt, dann bist du wohl „The Fragile“.
„Zum größten Teil ja. Lass es
mich erklären: Wir sind mit ‘The Downward Spiral‘ zwei Jahre auf Tour gewesen.
Zwei Jahre ohne Nachdenken. Wir wurden nicht im Radio gespielt, von MTV nicht
gesendet und so weiter. Wir hatten also nichts, um den Leuten begreiflich zu
machen, worum es überhaupt geht. Also mussten wir touren. Als die Tour zu Ende
war merkte ich, dass aus einer relativ unbekannten Band plötzlich Stars geworden
waren. Ich hatte bloß nicht gemerkt, dass ich mich verändert hatte. Ich war zu
jemandem geworden, der ich geschworen hatte, nie zu werden. Ein bisschen Macht,
Ruhm oder Geld kann deine Persönlichkeit zerstören und dich total verändern.
Mir ist das passiert. Das merkte ich, als ich nach dem letzten Konzert aus dem
Tourbus stieg.“
Und das macht schwach
und zerbrechlich?
„Früher habe ich beim Musikmachen
viel nachgedacht, ich habe mich selbst immer wie der geprüft. Ich habe
analysiert, wie ich bestimmte Dinge erlebt und gefühlt habe. Als ich mich jetzt
ins Studie setzte, um mit ‘The Fragile‘ zu beginnen, war das allerletzte, das
ich tun wollte, mit mir allein zu sein und herauszufinden, wie ich mich
verändert hatte. So habe ich viel Zeit verloren. Ich habe auch immer gedacht:
‘wenn du alles erreicht hast wovon du träumst, dann geht es dir besser‘. Jetzt
habe ich das alles. Ja, es ist natürlich schön, dass ich mir keine Sorgen mehr
machen muss, eh ich die nächste Miete zahlen kann. Aber ich dachte auch ‘was
für ein elend dummes Ziel des Lebens. Was bin ich doch für ein oberflächlicher
Mensch‘.“
Das hört sich jetzt
aber ein bisschen nach Selbstmitleid an...
„Nein. Aber ich merkte, dass all
die Dinge, die der Erfolg mit sich brachte, genau die Dinge waren, mit denen ich
nicht umgehen konnte. Da saß ich nun und wusste nicht weiter. Dann habe ich
auch noch ein paar Freunde verloren. Und die Frau die mich groß gezogen hat,
ist gestorben. Ein paar andere Freunde sind auch gestorben. Alles um mich herum
starb, und ich konnte damit nicht umgehen - also ließ ich es erst gar nicht an
mich heran. Das hat natürlich nicht geholfen. Ich fühlte mich wie ein
Schnellzug, der in den Abgrund rast. Und den habe ich angehalten. Ich habe mich
gefragt, weshalb ich mich so miserabel und unglücklich fühlte.“
Und dann hast du mit
der Arbeit begonnen?
„Ich bin nicht eines Morgens
aufgewacht, und alles war anders. Nein, es war der Druck, eine neue Platte zu
machen, die etwas bedeutet. Ich entdeckte, dass ich vergessen hatte, dass ich
Musik liebe. Musik zu machen, zu hören und zu erfahren. Musik war schon immer
mein bester Freund, mein ganzes Leben hin durch. In Teenager-Jahren gab es
Momente, in denen eine bestimmte Platte wirklich sowas wie ein bester Freund
war. Jetzt habe ich die Möglichkeit, genau das für andere zu machen, und
während ich das tue, kriege ich wieder ein gutes Gefühl. Ich hatte das total
vergessen.“
Die
Promotion-Maschine, die einsetzt, sobald die Platte fertig ist, kannst aber
auch du kaum umgehen.
„Es gibt einen Unterschied
zwischen Musik als Kunst, die etwas bedeutet, auf der einen Seite und Kommerz auf der anderen
Seite. Ich fühle mich zum Beispiel jetzt in unserem Gespräch sehr wohl, das
meine ich ernst. Und das ist doch verrückt, oder? Es ist ein Zufall, dass wir
hier zusammen sitzen und ich dir von den Dingen erzähle, die mich jahrelang
runtergezogen haben. Ich bin im Jetlag,
mir ist schlecht und ich habe eine Erkältung. Aber wir reden. Weil es mir
wichtig ist, damit ich etwas unterstützen kann, woran ich glaube. Ich habe
Freunde gesehen, die ein bisschen Erfolg hatten und prominent wurden. Ihr ultimatives
Ziel war es, zu Stars zu werden. Ich habe mich in so einer Situation immer
unwohl gefühlt. Mir geht es nur um die Musik, und nicht darum, mit der Musik in
den heiligen Club der Stars zu kommen. Von jenen bin ich enttäuscht.“
Du sprichst von
Marilyn Manson, oder?
„Ja. Aber bevor du weiter fragst:
Ich werde jetzt nicht mit konkreten Anschuldigungen um mich werfen oder
persönliche Differenzen in der Öffentlichkeit preisgeben. Das ist nicht meine Art.
Nur soviel: Ich hätte nicht erwartet, von jemandem, den ich mal als einen
meiner wenigen Freunde betrachtete, so verletzt zu werden. Aber hinterher ist
man immer klüger, auch wenn man sich dann fragt, wie man sich so in einem
Menschen täuschen konnte.“
„The Fragile“ hört sich nicht mehr so aggressiv an wie die Vorgänger,
du benutzt streckenweise sogar Streicher-Arrangements und Mandolinen. Auch die
Texte scheinen nicht mehr so provokativ wie früher.
„Als wir ‘The Downward Spiral‘
gemacht haben, hatte ich schon ein vorgefertigtes Konzept im Kopf. Die Platte
war praktisch schon fertig, bevor ich überhaupt im Studio war. Ich wollte eine Geschichte
erzählen von einer Art Abstieg zu einem bösen Ort - ziemlich fatalistisch. Und
auf der Tour wurde das plötzlich Wirklichkeit, wie eine self fulfilling
prophecy. Mit ‘The Fragile‘ habe ich angefangen, als ich ziemlich verzweifelt
war, und ich hatte nichts geplant. Aber als ich endlich anfing zu arbeiten, ist
es nur so aus mir heraus gesprudelt. Der einzige Rahmen, den ich dem Ganzen
gesetzt habe, war der Titel ‘The Fragile‘.“
Der Titel „I‘m Looking Forward To Joining You,
Finally“ ist einer Clara gewidmet. Das ist deine Großmutter, nicht wahr?
„Ja, sie ist die Frau, die mich großgezogen hat und
gestorben ist.“
Angesichts des Titels
drängen sich Suizidabsichten geradezu auf...
„Ja. Zu der Zeit, als sie
gegangen ist, habe ich mich wirklich sehr schwach und zerbrechlich gefühlt. Ich
wollte dann aber gezielt die Schwächen entdecken und ein Album machen, das die
Dinge wieder zusammensetzt, die auseinander gefallen waren. Ich habe ganz unten
angefangen und mich meinen Ängsten gestellt. Ich musste da durch. Ich habe es
einfach getan und gesehen, was dabei rauskommt. Ich habe zwei Jahre lang nicht
länger als vier Stunden pro Nacht geschlafen. Das ist natürlich nicht gesund,
aber die Platte ist das Beste, was ich je gemacht habe. Das musikalische Level
ist gestiegen. Ich bin regelrecht überrascht, dass sie jetzt fertig ist und
sehr stolz darauf. Sie gibt mir den Respekt vor mir selbst zurück.“
Zwischen den beiden
Alben gab es noch „ The Perfect Drug“. Wie würdest du dieses Stück nachträglich
betrachten?
„Als ich den Song geschrieben
habe, näherte ich mich gerade dem Tiefpunkt. Ich mag ihn nicht besonders. Ich
habe ihn für einen Soundtrack auf genommen, der nicht wirklich wichtig war. Es
war die Aufgabe, das Stück innerhalb von einer Woche fertig zu stellen - das
war alles.“
Trotzdem die
naheliegende Frage: Was ist für dich die perfekte Droge?
„Jetzt würde ich fast sagen: Musik.“
Von der letzten Tour
hast du gesagt, dass du danach am Boden warst. Wie willst du das in Zukunft
verhindern?
„Ich will auf Tour gehen, weil
ich es wichtig finde, Live-Erfahrung mit dem neuen Material zu machen. Ich habe
aus der letzten Tour gelernt und gehe jetzt mit etwas mehr Realitätssinn und
weniger Naivität an die Sache heran. Deshalb ist das Risiko nicht so groß, dass
mir nochmal so ein Absturz passiert. Ich bin auf die Unwägbarkeiten
vorbereitet.“
Robert Baumanns
Kommentare am Seitenrand:
DAVID BOWIE
„Trent Reznor ist ein geradezu
perfekter Musiker, er ist kolossal. Er ist einer der herausforderndsten
Künstler unserer Zeit und beileibe keine Eintagsfliege oder ein Phänomen, das
nur von kurzer Dauer ist. Was Manson im Moment macht, ist sehr amerikanisch,
hat aber nicht unbedingt viel mit Glam zu tun. Manson ist nicht so offen. Was
er tut, ist ein Statement. Sehr puristisch, aber nun wirklich nicht
interessant. Ich glaube, dass Trent Reznor viel langlebiger ist als Manson.“
ALICE COOPER
„Niemand wird Industrial-Rock
jemals besser machen und verkörpern als Trent Reznor. Mir ist das allerdings zu
schwarz - so herzlos und verzweifelt. Für drei Songs ist es okay, aber dann
brauche ich etwas anderes.“
FLEA (CHILLI PEPPERS)
„Ich habe das neue Nine Inch
Nails-Album ohne Unterbrechung über Stunden gehört. Es ist verdammt das Beste,
was ich je gehört habe. Trent Reznor hat eine so grundlegende Idee von
Rhythmus, Zeit und Raum, dass es mich einfach umhaut. Wir werden mit Nine Inch
Nails in Australien spielen und ich bin sehr aufgeregt.“
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