Fünf Jahre arbeitete TRENT REZNOR an THE FRAGILE, im
letzten Jahr erschien das ambitionierteste NINE INCH NAILS-WERK. Momentan
befindet sich der Meister gerade in einer Übergangszeit: THINGS FALLING APART;
ein Remix-Album, ist erschienen; an einer aufwändigen DVD zur FRAGILE 2.0-Tour
arbeitet er noch, entwirft aber gleichzeitig schon die ersten musikalischen
Skizzen für die nächste CD.
Die anstrengende Welttournee ist vollendet, bleibt da Zeit
für eine Atempause?
Nein, wir sind ziemlich beschäftigt. Ich schreibe gerade
einen Haufen neuer Songs, um mich schon mal zu orientieren, in welche Richtung
es weiter gehen wird. Außerdem ist das Video immer noch nicht fertig. Die
Audiospuren stehen, ebenso der Schnitt. Aber wir arbeiten noch an dem
Surround-Sound und wollen die Sache dann mindestens einen Monat ruhen lassen. Es
ist unmöglich, jetzt noch objektiv zu sein, da wir alles selbst machten - vom
Filmen über den Schnitt bis hin zum Mix. Ich schätze, das fertige Resultat wird
im Frühjahr erscheinen.
Weswegen beteiligst du dich auch an so technischen Details
derart intensiv?
Es ist notwendig. Ursprünglich hatten wir eine Firma
angeheuert, aber sie zeigten sich nicht in der Lage, unsere Konzerte mit den
richtigen Augen zu sehen. Es geht nicht um Quatsch wie extreme Close-Ups oder
Backstage-Aufnahmen, sondern darum, die Erfahrung des Konzertbesuches
einzufangen. Deswegen kauften wir einen Haufen digitale Videokameras und filmten
die letzten zehn Konzerte aus acht verschiedenen Perspektiven. Wir überspielten
das Material auf einen Computer, lernten, wie man die entsprechenden Programme
bedient, und legten los. Ich weiß nicht, ob ich so etwas noch mal machen würde,
habe aber viel gelernt.
Schätze, wenn du es nicht versuchst hättest, wärest du
unzufrieden…
Mit Sicherheit. Außerdem besitzen wir jetzt hier in New
Orleans ein vollständig eingerichtetes Video-Studio und somit die
Grundvoraussetzung, auch über derartige Produkte maximale Kontrolle
auszuüben.
Sich selbst immer wieder live spielen sehen, ist ziemlich
monoton. Um daraus auszubrechen, begann ich, mit ein paar neuen musikalischen
Ideen zu experimentieren. Mittlerweile sind 40 bis 50 kleine Songfetzen
zusammengekommen, mit deren Hilfe ich mich orientieren möchte. Es geht mit
darum, herauszufinden was mich im Augenblick inspiriert. Ich mache oft den
Fehler, mir alles im Vorfeld komplett im Kopf zurechtlegen zu wollen.
Suchst du also nach einer neuen Arbeitsweise?
Bei THE FRAGILE merkte ich, dass ich, wenn ich - auch auf die
Gefahr hin, dass das Ergebnis grauenhaft war - ein paar verschiedene Dinge
einfach ausprobierte, letztlich über interessante Sachen stolperte. Am Anfang
dachte ich, THE FRAGILE würde ein Synthie-Album werden, am Ende entstand ein
sehr Gitarren-lastiges, organisches Werk. Ich bin gespannt, was aus dem neuen
Material wird. Im Moment klingt es sehr elektronisch, mit einem rohen
Garagensound, Low Tech und lärmig.
Ich nehme an, dass du bisher alleine arbeitest?
Ja. Ich habe einen Typen, der den Computer bedient, wenn ich
einen Bass in den Händen halte, das ist alles. Ich mag es so, denn ich will
etwas vorweisen können, wenn andere Menschen involviert werden - sei es ein
Produzent oder Musiker.
Wieviel Zeit willst du dir für diese Produktion nehmen?
Mein Plan ist, nicht wie bei THE FRAGILE eine halbe Ewigkeit
in meinen Arsch zu glotzen. Damals gab es zu viele persönliche Dinge, mit denen
ich erst klarkommen musste, so dass daraus letztlich ein episches Unterfangen
wurde. Diesmal werde ich an zwei Dingen parallel arbeiten, so dass ich das
Material, das offensichtlich nicht für Nine Inch Nails geeignet ist, in ein
anderes Projekt fließen lassen kann. Ich denke das Album könnte Ende des Jahres
fertig sein.
Glaubst du, dass die vollständige Kontrolle über den
Arbeitsprozess eine Hilfe für deine Kreativität ist?
Teilweise. Ich eliminiere systematisch so viele Leute wie
möglich aus der Gleichung, weil ich herausfand, dass ich extrem viel Zeit mit
Warten verbrachte. Ich wollte etwas machen, aber es stand kein Studio zur
Verfügung. Also baute ich mir ein eigenes. Ich durfte was nicht machen, weil die
Plattenfirma etwas dagegen hatte. Also gründete ich Nothing Records. Die
Freiheit, die ich so gewann, gab mir auch Verantwortung. Du bist für alles
selbst verantwortlich und kannst nicht ziellose in der Landschaft herumarbeiten.
Deswegen muss ich immer einen Masterplan entwerfen, um dann dementsprechend
Verantwortlichkeiten weg zu delegieren. Dadurch schaffe ich mir einerseits
kreative Freiheit, andererseits wächst der Druck, weil ich natürlich letztlich
so hässliche Dinge wie Deadlines nicht aus der Welt schaffen kann.
Interessanterweise liegt jetzt gerade mit THINGS FALLING
APART das schon traditionelle Remix-Album zu einem bestimmten Nine Inch
Nails-Kapitel vor - ein Album, bei dem du bewusst auch die kreative Kontrolle
hast fahren lassen.
Ebenso wie FURTHER DOWN THE SPIRAL und FIXED ist diese Platte
ein Ventil, um überflüssigen Druck abzubauen. Während einer Produktion wie THE
FRAGILE fallen eine Menge Material und Ideen ab, die nicht schlecht sind, aber
auch nicht wirklich passen. Ich ermutige die Leute, mit denen ich arbeite,
ständig dazu, mit meinem Material herumzuspielen, immer auf der Suche nach neuer
Inspiration. Manchmal kommt etwas dabei heraus, was den ganzen Song
umstrukturiert und verbessert, oft endet diese Arbeit aber auch in einer
Sackgasse. Als THE FRAGILE endlich abgeschlossen war, hörte ich mir diese
übriggebliebenen Songs und Songideen an. Es gibt eine Menge Material, das bis
heute nicht vollendet ist, mit dem ich mich aber für die Zukunft nicht mehr
belasten möchte. Das, was präsentabel war, packten wir auf THINGS FALLING APART.
Ich sehe dieses Album nicht als absolute Aussage, sondern als Begleitstück zu
THE FRAGILE. Übrigens mag ich den Begriff Remix-Album nicht, ich denke dabei
immer an einen tagesaktuellen Dancebeat, der instinktlos über bestehende Musik
geworfen wird. Hier geht es darum, Freunden und Kollegen die Möglichkeit zu
bieten, ihren Anteil an meiner Arbeit zu präsentieren.
Ist eine solche Platte für dich der Abschluss eines Kapitels,
oder ziehst du daraus auch Inspiration für deine zukünftige Arbeit?
Sie nimmt den Druck von meinen Schultern, weil ich merke,
dass ich mit meiner Musik auch mal lässig umgehen kann. THE FRAGILE selbst war
ein schonungsloser Prozess der Kritik, jeder Ton wurde immer wieder in Frage
gestellt. Natürlich wird es mit dem neuen Album genauso sein, aber zumindest
verfolgt mich das Grauen, dass dieser Kamp in mir hervorruft, nicht von der
ersten Sekunde an.
Hast du einen persönlichen Favoriten?
Ich mochte ´Slipping Away' schon immer. Wir nahmen es zur
selben Zeit, wie ‚Into The Void' auf, spielten einfach weiter. Es hätte
anderthalb Stunden weitergehen können… Ich erinnere mich so gut, weil das eine
der Perioden war, wo wir wirklich Spaß hatten. ´Metal', die
Gary-Numan-Coverversion, ist auch ziemlich gut geworden. Das war die allererste
Aufnahme, die wir während der THE FRAGILE-Session machten, gewissermaßen unsere
Aufwärmübung. Ich denke, unsere Version ist gleichzeitig modern und respektvoll.
Gary Numan soll sie mögen, was ich als Kompliment empfinde.
Warum sind drei Versionen von ´Starfuckers Inc.' dabei?
Das war damals die aktuelle Single. Zwei Freunde von mir,
Adrian Sherwood und Dave Ogilvie, riefen fast gleichzeitig an und wollten etwas
damit machen. Es wirkt zugegebenermaßen wie Overkill, entspricht aber dem losen
Konzept für dieses Album. Schade ist nur, dass wenige Tage, nachdem die CD
gepresst war, mein Schlagzeuger Jerome Dillon und Keith Hillbrand mit einer
exzellenten Version ´La Mer' ankamen. Nun, den Song gibt es jetzt als Bonus auf
der Website.
Ärgert es dich, wenn dich eine Deadline zu so einer
Entscheidung zwingt?
Man braucht sie. Ich habe schon viele Songs ruiniert, weil
ich nicht aufhören konnte. Manchmal ist man über den Punkt möglicher
Verbesserungen hinaus, trotzdem kann ich diese fragende Stimme mit ihrem "Ist es
das wirklich?" selten ignorieren.
Arbeitest du linear, oder entwickelst du simultan
verschiedene Versionen eines Songs?
Gute Frage. Ich weiß die Antwort nicht, weil ich nie nach
einem bestimmten Schema vorgehe. Bei THE FRAGILE arbeitete ich meist an kleinen
Musikfetzen - einer bestimmten Akkordfolge, einer Bassline zu einem bestimmten
Rhythmus -, schrieb nebenbei Bruchstücke von Texten und versuchte schließlich,
diese kleinen Elemente nach Themen zu ordnen und schließlich in Songs zu
organisieren.
Klingt nach einer sehr evolutionären, organischer Prozedur:
Kleine Teile musikalischer DNA werden immer neu kombiniert, und dann entscheidet
das darwinsche Prinzip, was überlebt und zu einem Song wird…
Interessante Beschreibung, aber sie klingt zu gut, zu machbar
im Angesicht der Realität. Ich beneide jemanden wie Paul McCartney, der sich
hinsetzt, einen fantastischen Song am Klavier schreibt und dann nur noch das
Problem hat, ihn arrangieren zu müssen. Wenn ich so was versuche, klingt es
abgeschmackt, uninteressant. Aber wenn ich im Studio sitze, wissend, dass ich
nicht der beste Gitarrist der Welt bin, meine Klampfe falsch anschließe oder
verstimme und aus dem seltsamen Ergebnis dann meine Inspiration ziehe, denke ich
manchmal, dass bei mir irgendwas falsch läuft.
Robert Müller