.

 

 

 

 

 

 

 

NIN-PAGES

Interviews

Album

Live

Gesamt-Übersicht

Jahr 2001

 www.metal-hammer.de

Hammer

 

Februar 2001

 

Atempause

 

Autor: Robert Müller

 

 Fünf Jahre arbeitete TRENT REZNOR an THE FRAGILE, im letzten Jahr erschien das ambitionierteste NINE INCH NAILS-WERK. Momentan befindet sich der Meister gerade in einer Übergangszeit: THINGS FALLING APART; ein Remix-Album, ist erschienen; an einer aufwändigen DVD zur FRAGILE 2.0-Tour arbeitet er noch, entwirft aber gleichzeitig schon die ersten musikalischen Skizzen für die nächste CD.

 Die anstrengende Welttournee ist vollendet, bleibt da Zeit für eine Atempause?

 Nein, wir sind ziemlich beschäftigt. Ich schreibe gerade einen Haufen neuer Songs, um mich schon mal zu orientieren, in welche Richtung es weiter gehen wird. Außerdem ist das Video immer noch nicht fertig. Die Audiospuren stehen, ebenso der Schnitt. Aber wir arbeiten noch an dem Surround-Sound und wollen die Sache dann mindestens einen Monat ruhen lassen. Es ist unmöglich, jetzt noch objektiv zu sein, da wir alles selbst machten - vom Filmen über den Schnitt bis hin zum Mix. Ich schätze, das fertige Resultat wird im Frühjahr erscheinen.

 Weswegen beteiligst du dich auch an so technischen Details derart intensiv?

 Es ist notwendig. Ursprünglich hatten wir eine Firma angeheuert, aber sie zeigten sich nicht in der Lage, unsere Konzerte mit den richtigen Augen zu sehen. Es geht nicht um Quatsch wie extreme Close-Ups oder Backstage-Aufnahmen, sondern darum, die Erfahrung des Konzertbesuches einzufangen. Deswegen kauften wir einen Haufen digitale Videokameras und filmten die letzten zehn Konzerte aus acht verschiedenen Perspektiven. Wir überspielten das Material auf einen Computer, lernten, wie man die entsprechenden Programme bedient, und legten los. Ich weiß nicht, ob ich so etwas noch mal machen würde, habe aber viel gelernt.

Schätze, wenn du es nicht versuchst hättest, wärest du unzufrieden…

 Mit Sicherheit. Außerdem besitzen wir jetzt hier in New Orleans ein vollständig eingerichtetes Video-Studio und somit die Grundvoraussetzung, auch über derartige Produkte maximale Kontrolle auszuüben.

Laufen die Arbeiten an den neuen Songs parallel dazu?

 Sich selbst immer wieder live spielen sehen, ist ziemlich monoton. Um daraus auszubrechen, begann ich, mit ein paar neuen musikalischen Ideen zu experimentieren. Mittlerweile sind 40 bis 50 kleine Songfetzen zusammengekommen, mit deren Hilfe ich mich orientieren möchte. Es geht mit darum, herauszufinden was mich im Augenblick inspiriert. Ich mache oft den Fehler, mir alles im Vorfeld komplett im Kopf zurechtlegen zu wollen.

 Suchst du also nach einer neuen Arbeitsweise?

 Bei THE FRAGILE merkte ich, dass ich, wenn ich - auch auf die Gefahr hin, dass das Ergebnis grauenhaft war - ein paar verschiedene Dinge einfach ausprobierte, letztlich über interessante Sachen stolperte. Am Anfang dachte ich, THE FRAGILE würde ein Synthie-Album werden, am Ende entstand ein sehr Gitarren-lastiges, organisches Werk. Ich bin gespannt, was aus dem neuen Material wird. Im Moment klingt es sehr elektronisch, mit einem rohen Garagensound, Low Tech und lärmig.

 Ich nehme an, dass du bisher alleine arbeitest?

 Ja. Ich habe einen Typen, der den Computer bedient, wenn ich einen Bass in den Händen halte, das ist alles. Ich mag es so, denn ich will etwas vorweisen können, wenn andere Menschen involviert werden - sei es ein Produzent oder Musiker.

 Wieviel Zeit willst du dir für diese Produktion nehmen?

 Mein Plan ist, nicht wie bei THE FRAGILE eine halbe Ewigkeit in meinen Arsch zu glotzen. Damals gab es zu viele persönliche Dinge, mit denen ich erst klarkommen musste, so dass daraus letztlich ein episches Unterfangen wurde. Diesmal werde ich an zwei Dingen parallel arbeiten, so dass ich das Material, das offensichtlich nicht für Nine Inch Nails geeignet ist, in ein anderes Projekt fließen lassen kann. Ich denke das Album könnte Ende des Jahres fertig sein.

 Glaubst du, dass die vollständige Kontrolle über den Arbeitsprozess eine Hilfe für deine Kreativität ist?

 Teilweise. Ich eliminiere systematisch so viele Leute wie möglich aus der Gleichung, weil ich herausfand, dass ich extrem viel Zeit mit Warten verbrachte. Ich wollte etwas machen, aber es stand kein Studio zur Verfügung. Also baute ich mir ein eigenes. Ich durfte was nicht machen, weil die Plattenfirma etwas dagegen hatte. Also gründete ich Nothing Records. Die Freiheit, die ich so gewann, gab mir auch Verantwortung. Du bist für alles selbst verantwortlich und kannst nicht ziellose in der Landschaft herumarbeiten. Deswegen muss ich immer einen Masterplan entwerfen, um dann dementsprechend Verantwortlichkeiten weg zu delegieren. Dadurch schaffe ich mir einerseits kreative Freiheit, andererseits wächst der Druck, weil ich natürlich letztlich so hässliche Dinge wie Deadlines nicht aus der Welt schaffen kann.

 Interessanterweise liegt jetzt gerade mit THINGS FALLING APART das schon traditionelle Remix-Album zu einem bestimmten Nine Inch Nails-Kapitel vor - ein Album, bei dem du bewusst auch die kreative Kontrolle hast fahren lassen.

 Ebenso wie FURTHER DOWN THE SPIRAL und FIXED ist diese Platte ein Ventil, um überflüssigen Druck abzubauen. Während einer Produktion wie THE FRAGILE fallen eine Menge Material und Ideen ab, die nicht schlecht sind, aber auch nicht wirklich passen. Ich ermutige die Leute, mit denen ich arbeite, ständig dazu, mit meinem Material herumzuspielen, immer auf der Suche nach neuer Inspiration. Manchmal kommt etwas dabei heraus, was den ganzen Song umstrukturiert und verbessert, oft endet diese Arbeit aber auch in einer Sackgasse. Als THE FRAGILE endlich abgeschlossen war, hörte ich mir diese übriggebliebenen Songs und Songideen an. Es gibt eine Menge Material, das bis heute nicht vollendet ist, mit dem ich mich aber für die Zukunft nicht mehr belasten möchte. Das, was präsentabel war, packten wir auf THINGS FALLING APART. Ich sehe dieses Album nicht als absolute Aussage, sondern als Begleitstück zu THE FRAGILE. Übrigens mag ich den Begriff Remix-Album nicht, ich denke dabei immer an einen tagesaktuellen Dancebeat, der instinktlos über bestehende Musik geworfen wird. Hier geht es darum, Freunden und Kollegen die Möglichkeit zu bieten, ihren Anteil an meiner Arbeit zu präsentieren.

 Ist eine solche Platte für dich der Abschluss eines Kapitels, oder ziehst du daraus auch Inspiration für deine zukünftige Arbeit?

 Sie nimmt den Druck von meinen Schultern, weil ich merke, dass ich mit meiner Musik auch mal lässig umgehen kann. THE FRAGILE selbst war ein schonungsloser Prozess der Kritik, jeder Ton wurde immer wieder in Frage gestellt. Natürlich wird es mit dem neuen Album genauso sein, aber zumindest verfolgt mich das Grauen, dass dieser Kamp in mir hervorruft, nicht von der ersten Sekunde an.

 Hast du einen persönlichen Favoriten?

 Ich mochte ´Slipping Away' schon immer. Wir nahmen es zur selben Zeit, wie ‚Into The Void' auf, spielten einfach weiter. Es hätte anderthalb Stunden weitergehen können… Ich erinnere mich so gut, weil das eine der Perioden war, wo wir wirklich Spaß hatten. ´Metal', die Gary-Numan-Coverversion, ist auch ziemlich gut geworden. Das war die allererste Aufnahme, die wir während der THE FRAGILE-Session machten, gewissermaßen unsere Aufwärmübung. Ich denke, unsere Version ist gleichzeitig modern und respektvoll. Gary Numan soll sie mögen, was ich als Kompliment empfinde.

 Warum sind drei Versionen von ´Starfuckers Inc.' dabei?

 Das war damals die aktuelle Single. Zwei Freunde von mir, Adrian Sherwood und Dave Ogilvie, riefen fast gleichzeitig an und wollten etwas damit machen. Es wirkt zugegebenermaßen wie Overkill, entspricht aber dem losen Konzept für dieses Album. Schade ist nur, dass wenige Tage, nachdem die CD gepresst war, mein Schlagzeuger Jerome Dillon und Keith Hillbrand mit einer exzellenten Version ´La Mer' ankamen. Nun, den Song gibt es jetzt als Bonus auf der Website.

 Ärgert es dich, wenn dich eine Deadline zu so einer Entscheidung zwingt?

 Man braucht sie. Ich habe schon viele Songs ruiniert, weil ich nicht aufhören konnte. Manchmal ist man über den Punkt möglicher Verbesserungen hinaus, trotzdem kann ich diese fragende Stimme mit ihrem "Ist es das wirklich?" selten ignorieren.

 Arbeitest du linear, oder entwickelst du simultan verschiedene Versionen eines Songs?

 Gute Frage. Ich weiß die Antwort nicht, weil ich nie nach einem bestimmten Schema vorgehe. Bei THE FRAGILE arbeitete ich meist an kleinen Musikfetzen - einer bestimmten Akkordfolge, einer Bassline zu einem bestimmten Rhythmus -, schrieb nebenbei Bruchstücke von Texten und versuchte schließlich, diese kleinen Elemente nach Themen zu ordnen und schließlich in Songs zu organisieren.

 Klingt nach einer sehr evolutionären, organischer Prozedur: Kleine Teile musikalischer DNA werden immer neu kombiniert, und dann entscheidet das darwinsche Prinzip, was überlebt und zu einem Song wird…

 Interessante Beschreibung, aber sie klingt zu gut, zu machbar im Angesicht der Realität. Ich beneide jemanden wie Paul McCartney, der sich hinsetzt, einen fantastischen Song am Klavier schreibt und dann nur noch das Problem hat, ihn arrangieren zu müssen. Wenn ich so was versuche, klingt es abgeschmackt, uninteressant. Aber wenn ich im Studio sitze, wissend, dass ich nicht der beste Gitarrist der Welt bin, meine Klampfe falsch anschließe oder verstimme und aus dem seltsamen Ergebnis dann meine Inspiration ziehe, denke ich manchmal, dass bei mir irgendwas falsch läuft.

 Robert Müller

oben