Nine Inch
Nails
Ghosts I-IV
Politisch und ästhetisch schafft
Trent Reznor mit „Ghosts“ eine kleine Revolution, musikalisch keine. Bald wird
sie kommen, die erste nur im Internet und in Eigenvertrieb verkaufte Platte,
die auch bei „Wetten, dass... ?“ und in den ,,RTL II News“ als Revolution angepriesen
wird. Bis dahin entdecken die Pioniere dieser Entwicklung allein die neuen
Möglichkeiten. Ohne Vorankündigung veröffentlichte Trent Reznor Anfang März mit
„Ghosts“ ein knapp zweistündiges Instrumental-Album von Nine Inch Nails. Und
angeblich hat er jetzt schon gutes Geld damit verdient. Der Gegenwert von
„Ghosts“ liegt allerdings mehr denn je in den Ohren der Hörenden. „Halo Twenty
Six“ (in dieser Form sind alle NIN-Veröffentlichungen gekennzeichnet) bietet
nicht weniger aber auch nicht mehr als 36 schlicht durch nummerierte,
instrumentale Sound-Fragmente im Nine-Inch-Nails-Stil. Keinen einzigen
wirklichen Song, keine Zeile Gesang gibt es, was einige beim Hören dieser
Platte mit den Schultern zucken lassen wird. Die anderen, es werden vornehmlich
Fans oder ewige Musikentdecker sein, könnten glücklich werden. Denn sowenig
diese Miniwelten eine Entwicklung in sich selbst aufweisen können, so atmosphärischer
und liebevoller sind sie in Szene gesetzt: Auf dem Download des Albums gibt es
zu jedem Track das stimmige Foto. Und auch das luftige Artwork des Tonträgers
gibt dem Sound den Raum, der ihn zu mehr macht als einer Aneinanderkettung von
Spielereien. Freuen werden sich zudem diejenigen, die auf die flächigeren
NIN-Veröffentlichungen wie „The Fragile“ oder „Still“ stehen, auf denen immer
mal wieder Instrumentals Zeit zum Atmen zwischen emotionalen Höhenflügen geben.
Nur dass Letztere eben komplett fehlen auf „Ghosts“. Nicht ein Mal verlässt die
Platte den Versatz-Charakter. Viele Klaviermelodien, Soundspielereien und
Beats, die mal kratzig, mal leise daherkommen, finden statt, aber nichts wird
zu Ende gedacht. Wer will, wird in „Ghosts“ trotzdem eine dramatische
Steigerung erkennen. Aber letztlich bleibt diese NIN-Veröffentlichung
musikalisch wie wirtschaftlich ein Experiment, das in einer Hinsicht geglückt
ist, in der anderen nie mehr sein sollte als Fragmente und vor allem ohne das
Internet gar nicht möglich wäre. Alles gute Nachrichten also. Und so wie es
aussieht, markiert „Ghosts“ auch einen Wendpunkt in der Nine-Inch-Nails-Discografie.
Die neue NIN-Single „Discipline“ wurde bereits wenige Tage nach „Ghosts“
ebenfalls zum Download auf nin.com bereitgestellt - für lau.
ANSPIELTIPPS Ghosts II, Ghosts 1 14, Ghosts 16
8/12
JOCHEN SCHLIEMANN
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